She She P. ist die Marquise von O.

Foto: Bettina Stöß
Foto: Bettina Stöß
Foto: Bettina Stöß
Foto: Bettina Stöß
Foto: Bettina Stöß

She She Pop haben in Kleists Marquise ihre Meisterin entdeckt. Nie zuvor oder danach wurde die Öffentlichkeit derart entschlossen mit persönlicher Scham und Schande konfrontiert: Ihre unerklärliche Schwangerschaft annonciert sie in der lokalen Zeitung, um dem unbekannten mutmaßlichen Vergewaltiger die Heirat anzubieten.

Was die Marquise hat (und wir nicht), ist ein Schicksal. Und wir sehen fassungslos und neidisch dabei zu, wie sie erhobenen Hauptes hindurchwatet, durch die tiefste Stelle. Wie geht das? In einem szenischen Selbstversuch werden bestimmte PerformerInnen von She She Pop die wichtigsten Techniken der Marquise vorstellen und auf sich selbst anwenden, insbesondere: das Blinddate mit der Öffentlichkeit, die feindliche Übernahme der Verantwortung und nicht zuletzt den initialen Kontrollverlust durch Ohnmacht.

Credits

Von und mit: Lisa Lucassen und Sebastian Bark.
Dramaturgische Mitarbeit: Ilia Papatheodorou.
Ausstattung: Sandra Fox.
Lichtdesign: Gregor Roth.
Assistenz: Sabine Salzmann.

Premiere, November 2011, Maxim Gorki Theater, Berlin

Im Rahmen des Kleistfestival im Maxim Gorki Theater. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.

Dokumentation

Termine


Vergangene Termine:
22., 23. Mai 2013, SESC Festival Palco Giratório, Porto Alegre, Brasilien
12., 13., 18., 19., 21., 30. November 2011, Maxim Gorki Theater, Berlin
11. November 2011, Maxim Gorki Theater, Berlin

Pressestimmen

Verhängnisvolle Ohnmacht
“ …Überwiegend sind die Momente, in denen der Verdacht, hier werde lediglich dekonstruiert, aufs schönste widerlegt wird. Zum Beispiel, wenn Bark Lucassen dazu anhält, sich jetzt mal bitte ohne jegliche Ironie von ganzem Herzen bei ihm zu bedanken, für irgendwas. Da scheint die Vermessenheit des Grafen durch, der unbedingt auf seine Art der Bezahlung seiner Schuld besteht und von Kleist durchgewinkt wird. Auch die Vermessenheit der Marquise, die arg viel auf ihre „reine Seele“ hält. Überhaupt eignet sich das Hypnose-Machtspiel gut für die Verlebendigung der „Ich mach das allein“-Radikalität, in die sich so viele Kleistsche Figuren verhängnisvoll hineinschrauben. …Um das Spiel zu beenden, müssen sie sich allerdings zusammentun. Und so führen She She Pop hier nicht nur nach „Testament“ und „Sieben Schwestern“ ihr Abarbeiten an kanonischen Texten mit anderen Mitteln und sehr sehenswert fort, sondern formulieren auch eins ihrer Arbeitsprinzipien noch einmal neu, und zwar so: Erlösung beruht auf Gegenseitigkeit.
Sophie Diesselhorst, Nachtkritik, 11.11.2011

THEATER: Nicht für das große Schicksal
„…Es ist weniger Kammerspiel als Kammer-Workshop. Auf szenische Aufbereitung verzichten die beiden, alles bleibt bei ihnen Kommentar und geistreiche Reflexion. … Es ist ein geradezu exemplarischer und dabei durch und durch ehrlicher Abend. Denn er bringt ausdrücklich vor, was viele andere Stücke in diesen Tagen zum großen Kleist-Jubiläum lediglich als verstecktes Problem mit sich herumwälzen … „Du bist einfach nicht geschaffen für das große Schicksal“, dieser Satz aus dem She She Pop-Abend trifft ins Mark unserer Bühnenwirklichkeit.“
Christian Rakow, Märkische Allgemeine, 21.11.2011

Man muss sich verlaufen, um anzukommen
„Lisa Lucassen und Sebastian Bark arbeiten sich an all den Ohnmachten, all den Absenzen des Bewusstseins ab, die den Novellentext auszeichnen, indem sie sich gegenseitig immer wieder in Trance versetzen und dann aus dem Stück lesen lassen. Das hat natürlich auch etwas Albernes, was sich gegen den Text stemmt, gegen das Erschrecken und die Ergriffenheit, die er den Lesern abverlangt. Erst später, nach der Performance, stellt sich allmählich ihr reflexives Potenzial heraus. Mit Langzeitwirkung arbeitet sich die Novelle durch das sie umstellende Geplänkel“
Katrin Bettina Müller, taz – die Tageszeitung, 22.11. 2011

„Der charmante Selbstversuch der She She Pops am existentiellen Abgrund…“
Barbara Burckardt, Theater heute, Januar 2012

Cruising Kleist III
„She She Pop haben nicht viel Energie auf die historischen Umstände verwendet und kommen dem Text der Marquise von O…. dennoch oder gerade deshalb sehr nah. Das Spiel mit dem Kissen, das sich Lisa Lucassen und Sebastian Bark gegenseitig „unter Hypnose“ als Anzeichen der Schwangerschaft unterschieben, ist im besten Sinne des Wortes witzig. (…) Lucassen und Bark lesen die Marquiseperformativ, um vorzuführen, wie im Text Stück für Stück die Regeln, Gesetze der Wirklichkeit außer Kraft gesetzt werden. (…) „Sie müssen sich jetzt nicht angesprochen fühlen, Verantwortung zu übernehmen.“ Das ist so ein She-She-Pop-Satz, der die Sprache und das Sprechen nicht zuletzt in der Studio-Bühne in Szene setzt. Denn gerade in der Negation fühlt sich das Publikum noch stärker angesprochen. Und irgendwann trägt Bark natürlich nur unter Hypnose den ausgeweideten Hirsch als „Last des Schicksals“ über die Bühne und stemmt das Leben einfach so. Sehr schön ist auch, wenn sie sich unter Hypnose „Klarheit über unseren Zustand verschaffen“ wollen. Kann man sich denn, wenn man sich in hypnotischer Trance befindet, Klarheit über sich selbst verschaffen? Final schnippen sich Lisa und Sebastian so schnell gegenseitig in „hypnotische Trance“, dass klar wird, dass es das Reale nicht als Softeis gibt. Ganz großer Kleist im kleinen Studio.
Torsten Flüh, NightOut@Berlin (blog)