Für alle

Diese Performance will glücklich machen. Um dem Zusammenhang zwischen individuellem Glücksempfinden und konkreter Verteilungsgerechtigkeit auf den Grund zu gehen, entsteht auf der Bühne ein Spielcasino mit eigenen Regeln. Darin begeben sich She She Pop auf eine Glücksuche. Es geht um nichts Geringeres als die Ideale von Gerechtigkeit und Glück entgegen der ultra-fatalistischen Logik des Spiels zu verwirklichen und ein System zur Glücksproduktion für alle zu errichten. Diesem Selbstversuch setzen sich vier mutige, aber auch selbstsüchtige und egoistische Performerinnen aus.
Als halbnackte, spielsüchtige Animierdamen treten She She Pop Abend für Abend vor Gott, ihren Croupier, und verwickeln sich und das Publikum in einen Kampf um reelle und immaterielle Werte, die es an „Gottes Tombola“ zu gewinnen gibt. Im Besitz dieser Spielbank befinden sich Kontostände, Talente und Güter, Eigenschaften und Schicksalsschläge. Hier gibt es technische Geräte, Rentenversicherungen, Berufe, Krankheiten, Vasen, Schuldscheine, Familienangehörige und Grips zu verteilen. Über jeden Abend entscheiden die Würfel, an jedem Abend werden die Glücksfeen aus dem Publikum neu zugeteilt. Niemand kann sich seines Blatts sicher sein. Ausgestattet mit dem Gewinn, der ihr Bühnen-Los bestimmt, treten die Performerinnen an, das Schicksal, das sie getroffen hat, nun zu meistern. Es gilt zu leben: Sich als funktionierendes Individuum zu beschreiben, eine kohärenten Lebensentwurf zu gestalten, zu leiden, mit dem Schicksal zu hadern, gegen die anderen Kandidatinnen zu spielen, Gott herauszufordern.
Kann ein Ausgleich erzielt werden? Wie kann Respekt gezollt, wie können Gefühle aufgewogen und Verluste vergolten werden? Wie bewerten wir Herkunft, Emotionen, Schulden? Die ZuschauerInnen sind mal schadenfreudige ZeugInnen des Spiels und aufgewiegeltes Show-Publikum, mal assistieren sie den Spielerinnen als Glücksfeen. Und in letzter Instanz sitzen sie als Gerechte zur Seite Gottes, wenn sich seine Weisheit erschöpft, um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen.

Credits

Konzept: She She Pop.
Mit: Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Katharina Oberlik, Ilia Papatheodorou und Berit Stumpf.
Bühne: SSP und Holger Duwe.
Kostüm: SSP und Ulrike Willberg.
Sounddesign: Jeff McGrory und Max Knoth.
Lichtdesign: Micha Lentner-Niyorugira.
Choreographische Beratung: Kerlin Leao Da Silva.
Produktionsleitung: Kaja Jakstat.

Eine Koproduktion mit dem Hebbel am Ufer Berlin und Kampnagel Hamburg.

Premiere: 24. März 2006, Hebbel am Ufer, Berlin
Gefördert durch die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur Berlin und die Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg.

Termine


Vergangene Termine:
Januar 2008, Deutsches Schauspielhaus, Malersaal, Hamburg
November 2007, Tafelhalle, Nürnberg
November 2006, Theaterhaus, Jena
September 2006, Tanzquartier, Wien
September 2006, zeitraum Exit, Mannheim
April 2006, Kampnagel, Hamburg
März 2006, HAU 2, Berlin
24. März 2006, HAU 2, Berlin

Pressestimmen

Das ironische Unterhaltungstheater von She She Pop duldet keine Flucht in Illusionen. Vielmehr lassen die gewieften Performerinnen, mehr oder weniger immer sie selber, die Glücksklischees und Wunschwelten mit den Widerständen in der Wirklichkeit kollidieren und im mehr oder weniger pointierten Improvisations-Feuerwerk genüsslich zerplatzen.
Klaus Witzeling, Hamburger Abendblatt, 15. April 2006

Eine verrückte Show, die über 90 Minuten ständig witziger wird.
Dagmar Fischer, Hamburger Morgenpost, 15. April 2006

Zufall oder Leben
She She Pop spielten in der Kampnagel-Fabrik mit dem Glück.
Haben sie nicht recht, die Damen vom Performance-Kollektiv She She Pop? Das Leben ist ungerecht und Gott macht es sich wahrlich leicht auf Erden. Spielt ein bisschen Losbude, an der sich vier Frauen – allesamt in die gleiche triste Miederwaren-Grundausstattung gepresst – für ein farbenfrohes Leben präparieren lassen. Je nach Losglück mehr oder minder behangen und beschnallt mit allerlei Utensilien, die für die ergatterten Talente, Besitztümer und Berufsstände, privates Glück oder Belastung stehen, machen sie sich auf. (…)
So einfach beginnt in der Hamburger Kampnagel-Fabrik ein heiter-bissiger Diskurs über die gar nicht einfachen Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten des Lebens, das Glück, das manche haben und andere nicht, und ob sich der Zufall nicht besser verteilen ließe. Das Leben ein Game-Show, in der Gott den Spielmacher gibt und die Probanden mit mitleidlos sezierendem Forscherblick begutachtet. Ganz schön zynisch, und damit vielleicht geradeso, wie das Leben eben spielt. She She Pop richten dem Zufall in der Kampnagel-Fabrik nur seine Form ein. (…)
Das ist erschreckend, vergnüglich und ungemein spannend. Weil She She Pop ihr Spiel gnadenlos spielen, nicht alle guten Gaben jeder gleich gut tun uns so auch der Identifikationsfaktor fortwährend schwankt. Fernsehleicht befeuert wird das Ganze von groovigem Funk, gebrochen von mattleuchtender Post-NDW-Melancholie und trashig-sinnigem Kasperletheater-Zubehör aus der Bastelstunde von She She Pop. Das Publikum, locker um den Laufsteg verteilt, spielt dazu die entscheidende Nebenrolle: Zunächst beim Auslosen, später als Gott ihm hemmungslos die Rolle des Verteilers zuschiebt („Na los: Wem könnte dieses Suchtproblem wohl gefallen…“) – und weil es mit voyeuristischer Neugier verfolgt, wie sich die Vier mit ihrer jeweiligen Ausstattung schlagen. Und jeden Abend wird neu gemischt… 
Ruth Bender, Kieler Nachrichten, 18. April 2006

Das Leben ist ein Roulette-Spiel
WUNDER DER PRÄRIE: She She Pop spielen in der alten Feuerwache ein Stück „Für alle“.
Schon Aristoteles wusste, alle Menschen wollen glücklich sein. Die Giessener Performance-Gruppe She She Pop beweist mit ihrer lustig-schrägen Theater-Show „Für alle“, was viele schon lange vermuten: Das ganze Leben ist ein Spiel, und wir sind nur die Kandidaten.
Showmaster dieses Glücksspiels ist der charmante liebe Gott in weißem Tutu, gespielt von der erfrischend spontanen Ilia Papatheodorou, der zwar das ganze Glück in Händen hält, aber wie der Croupier im Casino keinerlei Einfluss auf die gerechte Verteilung hat. Und so müssen die vier hoffnungsvollen Kandidatinnen um ein glückerfülltes Leben buhlen, kämpfen und zocken, damit sie bei der Verteilung von Besitz, beruf/Berufung und Talent keine Niete ziehen. Noch ganz unbeschrieben und erlebnishungrig stehen sie zu Beginn des Stücks auf der Bühne und wispern fast schüchtern ihre großen Pläne und Träume vor sich hin. Da ist nichts Prätentiöses dabei, sie wünschen sich schlicht das, was jeder gerne hätte. Doch schnell stellt sich heraus, des einen Freud ist des anderen Leid. Die schöne Gabe der Nonchalance hilft im Leben wenig, wenn man arbeitslos und einsam ist, und nicht jeder hegt den Wunsch, ein Buch zu schreiben. Aber zum Glück bleibt im Leben nichts, wie es mal war, denn Ziel des poppig-bunten Treibens auf der Showbühne ist, dass am Ende wirklich jeder glücklich wird.
Der soziale Ansatz beschert damit auch dem Publikum einen facettenreichen Abend, da inmitten der ironischen Performance noch Raum bleibt für die leisen Töne. Wenn die Kandidatinnen allesamt über die Fallstricke des Lebens stolpern und dabei trotzdem tapfer auf die Frage nach ihrem momentanen Glücksbefinden mit „ganz gut“ antworten, umspielt die Gesichter der Zuschauer nur mehr ein bittersüßes Lächeln. Und just in dem Moment, in dem man gerne selbst eingreifen würde, erhält man die Chance, einer er „Gerechten“ zu werden.
Die fünf der eigentlich sieben She Shes beweisen mit diesem Stück ein komisches Fingerspitzengefühl für die Grauabstufungen des Lebens, denn zwischen Glück und Unglück liegt oft nur ein schmaler Grat. Faites vos jeux – nichts geht mehr!
Nora Binder, Mannheimer Morgen 9. Sept. 2006