Stellungnahme der Institutionen ohne Haus zu den geplanten Kürzungen bei den Bundeskulturfonds

 

Sehr geehrte Frau Staatsministerin, liebe Claudia Roth,

Mittel aus den Bundeskulturfonds haben (nicht nur) uns über die Corona-Zeit gerettet, die unsere prekären Strukturen offengelegt hat. Sie sind seitdem zu einer unverzichtbaren Säule einer Förderstruktur geworden, die uns verlässlich und planbar ‚Struktur + 1‘ ermöglicht: den Erhalt unserer Struktur wie eine neue Produktion pro Jahr. Die angekündigten Kürzungen bei den Bundeskulturfonds treffen uns damit unmittelbar finanziell. Sie treffen uns auch aus persönlicher und professioneller Solidarität zu den Menschen und Projekten, die hinter den Fonds stecken, mit denen wir in unterschiedlichen, geschätzten Formaten und Formationen zusammengearbeitet haben. Und sie irritiert uns.

Irritiert sind wir, weil die eingeschlagene Richtung einer Etablierung / Verstetigung von Förderungen der Fonds auch nach Corona widerrufen wird. Nun sind etablierte Programme, gerade neu entwickelte Instrumente und gerade noch in Entwicklung befindliche Förderprogramme massiv bedroht. Wir setzen darauf, dass das von Ihnen in einer Pressemitteilung Anfang letzten Jahres formulierte Ziel weiterhin ein wichtiges Ziel für Sie und ihr Haus bleibt: die Fonds, die sich als „echte Innovationstreiber erwiesen haben […] zu erhalten und noch weiter zu festigen.”(1)

Irritiert sind wir, weil die im Haushaltsentwurf angedachten Kürzungen zu einer Zeit kommen, in der auch die Situation der Landeshaushalte angespannt ist, die für uns wie für alle anderen Akteur:innen der freien Szene eine zentrale Fördersäule darstellen. Viele Akteur:innen der freien Szene agieren national wie international. Wir setzen darauf, dass Sie und Ihr Haus sich der damit einhergehenden Verantwortung bewusst sind. Wir setzen auf Ihre Worte: „Wenn die kulturelle Infrastruktur der freien Szene wegbricht, dann verlieren wir alle“. (2)

Irritiert sind wir, weil gespart wird an der freien Szene, einem – so aus Ihrem Grußwort zum Bundesweiten Artist Labs des Fonds Darstellende Künste – „Innovationsmotor von Kunst und Gesellschaft“; an der freien Szene, die die drängenden Fragen unserer Zeit, „von Nachhaltigkeit über Diversität bis zum Spannungsfeld von Demokratie und Repräsentation“ bearbeitet. (3) Eine starke freie Szene braucht starke und vor allem verlässliche Förderstrukturen. Gerade Themen wie Nachhaltigkeit und Diversität bedürfen einer Weiterentwicklung und nicht des Rückbaus von Förderstrukturen. Wir bauen darauf, dass Sie und ihr Haus sich auch weiterhin für uns stark machen; und nicht zuletzt auch die freie Szene so stärken, dass auch sie ihren Beitrag leisten kann zur ökologischen Transformation – für den es nicht nur eine Verringerung des Footprints, sondern auch eine Vergrößerung des Handprints braucht.

Irritiert sind wir, weil die Signale, die von der Kürzung der Mittel bei den Bundeskulturfonds ausgehen – bei steigendem Gesamtetat und steigenden Positionen wie z.B. für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz – mehr auf eine „Spaltung in eine prekäre freie Szene und eine gut abgesicherte etablierte Szene“ weisen als auf deren Überwindung. Wir bauen darauf, dass Sie und Ihr Haus sich auch weiterhin für das Ziel einsetzen, das sie vor einiger Zeit in einem Interview geäußert haben: diese „drohende Spaltung […] zu verhindern“. (4)

Wir setzen darauf, dass sie weiterhin „wie eine Löwin“ (5) für den Erhalt der freien Szene kämpfen, für den Erhalt von Freiräumen, für den Erhalt hart erstrittener Strukturen, für die dadurch gegebene Möglichkeit einer Weiterentwicklung. „Kultur ist“, so sagen Sie in eben zitiertem Interview weiter, „kein Luxusgut, sondern Lebenselixier für unsere Demokratie“. (6) Das gilt umso mehr in politischen Zeiten, in denen die freie Kultur nicht nur finanziell unter Druck steht.

Sehr geehrte Frau Staatsministerin, liebe Claudia Roth, wir fordern Sie auf, die angekündigten Kürzungen bei den Fonds zu überdenken und zurückzunehmen.

Mit freundlichen Grüßen,

Institutionen ohne Haus – andcompany&Co., Gob Squad, Rimini Protokoll, She She Pop, Solistenensemble Kaleidoskop

Berlin, den 7. August 2024

 

 

 

 

Bullshit

Foto: Benjamin Krieg
Foto: Benjamin Krieg
Foto: Benjamin Krieg
Foto: Benjamin Krieg
Foto: Benjamin Krieg

Das ist Bullshit: Ein Slang-Begriff für etwas, das falsch ist, diskreditiert, also Unsinn. Oder etwas, das erfunden ist, fake, irreführend, eine Täuschung.

Auf leerer Bühne finden sich die Performer*innen im endlosen Loop einer Verkaufsshow wieder. Hier ist nichts – und doch ist alles im Angebot. Unaufhörlich dreht sich die Spirale um She She Pop als Verkäufer*innen der Wirklichkeit, immer weiter geht ihre Suche nach etwas, dem sie noch einen Wert beimessen können, nur um es dann zu verramschen. Können sie die Wirklichkeit noch mit ihren Sinnen erfassen, mit Worten beschreiben. Ist sie noch zu retten? Hält irgendetwas dem Ausverkauf stand? She She Pop haben die Orientierung verloren. Die Zentralperspektive – aus der sie gelernt haben, irgendein Ziel ins Auge zu fassen – ist aufgelöst. Zusammen mit den Zuschauer*innen befinden sich die Performer*innen in einem Zustand des freien Falls. Eine Lücke tut sich auf zwischen Ereignissen und den Worten, die sie beschreiben. Und in diesen Abgrund fallen sie tiefer und tiefer.

In Bullshit stellen sich She She Pop mutig dem Verlust der gemeinsamen Wirklichkeit. Die Performer*innen erkennen an, dass sie nichts wissen und dass selbst die poetische Realität des Theaterraums in Mitleidenschaft gezogen ist. So versuchen sie die Blase ihrer Wahrnehmung zu verlassen, um andere Größenverhältnisse anzunehmen, andere Farben zu sehen, sich wie die Fledermaus mit Echolot zu verständigen, und sich in absoluter Dunkelheit wieder zu finden. Sie stellen sich andere Sichtweisen vor, sie verschreiben sich der Unsicherheit und widmen sich dem Verlernen. Wird es ihnen noch gelingen aus dem Chaos ein Erlebnis zu formen, Bedeutung in der Zufälligkeit zu finden, Sinn zu stiften im Durcheinander der Möglichkeiten, – oder als letztes Mittel den Bankrott zur Komödie zu erklären?

Credits

Konzept/Idee: She She Pop, Von und mit: Sebastian Bark, Johanna Freiburg, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Ilia Papatheodorou, Berit Stumpf.

Künstlerische Mitarbeit: Rodrigo Zorzanelli, Director of Photography & Video Installation: Benjamin Krieg, technische Beratung Videodesign: L Wilson-Spiro, Mitarbeit Video: Guillaume Cailleau, Raum: Philine Rinnert, Kostüm: Lea Søvsø, Mitarbeit Kostüm: Margarita Rozhkova, Mitarbeit Anfertigung Kostüm: Emma Cattell, Simon Kernen, Musik, Sounddesign, Klanginstallation: Santiago Blaum, Ton, Mitarbeit Sounddesign: Manuel Louis Horstmann, Live Sound Mix: Santiago Blaum, Manuel Louis Horstmann, Lichtdesign: Michael Lentner, Technische Leitung: Claes Schwennen, dramaturgische Beratung: Lidiia Golovanova, Hospitanz: Neïtah Janzing, Englische Live Übersetzung: PANTHEA, Audiodeskription: Pingpong Translation & Subtitling, Martina Reuter, PR & Kommunikation: ehrliche arbeit – freies Kulturbüro, Kommunikation: Tina Ebert, Produktion: Tina Ebert, Aminata Oelßner, Elke Weber, Company Management: Aminata Oelßner, Elke Weber.

Dank an: Fubbi Karlsson — House of North.

Eine Produktion von She She Pop in Koproduktion mit HAU Hebbel am Ufer Berlin, Kampnagel Hamburg, Künstler*innenhaus Mousonturm, FFT Düsseldorf, Residenz Schauspiel Leipzig, HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste. Mit Unterstützung: Theaterhaus Berlin Mitte.

Gefördert durch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Hauptstadtkulturfonds.

Trailer

 

Termine

07., 08., 09. Februar 2025, Kampnagel, Hamburg
05., 06., 07., 08., 09. März 2025, Residenz Schauspiel Leipzig, Leipzig
14., 15. März 2025, Europäisches Zentrum der Künste Hellerau, Dresden

Vergangene Termine:
23., 24. November 2024, Künstler*innenhaus Mousonturm, Franfurt am Main
01, 02., 03. November 2024, HAU, Berlin
30., 31. Oktober 2024, HAU, Berlin
29. Oktober 2024, HAU, Berlin

Termine

07., 08., 09. Februar 2025, Kampnagel, Hamburg
05., 06., 07., 08., 09. März 2025, Residenz Schauspiel Leipzig, Leipzig
14., 15. März 2025, Europäisches Zentrum der Künste Hellerau, Dresden

Pressestimmen

„Sie (…) kamen in den Genuss einer Performance, in der sich niemand zu schade ist, die buchstäblich nackten Tatsachen, auch die eines nicht mehr jungen weiblichen Körpers, in den Dienst des Zweifels, in das Befragen dessen, was man weiß oder zu wissen glaubt und was nun bröselt und bröckelt, zu stellen. (…) Das hat man von den Ikonen der deutschsprachigen Perfromanceszene lange nicht mehr so intensive gesehen wie in „Bullshit“.
FAZ, Eva-Maria Magel, 24. November 2024

„„Bullshit“ braucht keine expliziten tagespolitischen Bezüge, das Grundrauschen einer Zeit, in der Fakten und gesichertes Wissen keine harte Währung mehr sind, zieht sich auch so hörbar genug durch den Abend, noch dazu kurz vor den US-Wahlen. Alle schauen wir durch unser eigenes Fenster auf einen winzigen Ausschnitt der Welt und halten ihn für die Wirklichkeit, heißt es einmal. Wohl wahr. Die Performance zählt dabei zu den stärkeren Arbeiten von She She Pop, weil hier tatsächlich etwas auf dem Spiel steht: die Möglichkeit einer gemeinsamen Verständigung.“
Tagesspiegel, Patrick Wildermann, 30.10.2024

„Sie finden im Werbeblock wunderbare Bezüge zum Theater und zum Leben, wenn etwa Bark die Säule des Bühnenportals verkaufen will, die alles in Oben und Unten, Realität und Fiktion trennt – und ohne die das Theater zusammenbrechen würde (aber das tut es ja eh bald, so der Seitenhieb auf die Berliner Kulturpolitik). … Nach 90 kurzen Minuten ist die alte Welt verkauft und eine neue erst skizziert, ist die alte Gemeinschaft privatisiert und eine neue erst im Entstehen. Vieles hier bleibt unklar. Aber darin liegt auch eine Chance, weil man nach dem Abend noch länger darüber nachdenkt, ob wir wirklich schon alle Möglichkeiten ausgereizt haben, miteinander im Gespräch zu bleiben.“
Berliner Morgenpost, Georg Kasch, 30.10.2024

„Denn nun kann der Abend in seine echte Verwandlung eintreten, ja er versucht sogar den existenziellen Sprung. Ein neues Theater – das ist auch ein neues Wahrnehmen, neues Reden und Sein. Vor allem ein anderes Hören, vielleicht mit den Schallwellensensoren der Fledermäuse? … Der erste Schritt in eine neue Wahrnehmungswelt ist gemacht. Alles noch sehr dunkel dort, aber man hört das Kratzen und Flügelschlagen, vielleicht lernen wir auch bald das Alphabet der Schallwellen dazu.“
Berliner Zeitung, Doris Meierhenrich, 30.10.24

„Man weiß dann gar nicht mehr genau, sind das jetzt Menschen oder Tiere. Man sieht nur ganz verschwommene Bilder auf Fernsehern Schwarz-Weiß, vieles ist im Dunkeln. Wir werden sehr im Unklaren gelassen, welche Art von Metamorphose nach diesem Reinemachen, nach diesem Ausverkauf stattfindet. Das hat man so, in dieser illusionistischen Methode von dieser Gruppe noch nie gesehen. Sie hat tatsächlich Neuland betreten.“
Deutschlandfunk Kultur, Fazit, Tobi Müller, 29.10.2024

„Doch She She Pop untersuchen das Immaterielle weiter: Wäre es nicht schön, der Welt komplett neu zu begegnen, sinniert die Gruppe – und präsentiert in einer Bühnenminiatur dialogische Begegnungen mit Tieren. … „Was habt ihr eigentlich gegen Herden“, philosophiert beziehungsweise blökt Schäfchen Schlau schließlich gegenüber der Performerin – und stellt das Prinzip des egoistischen Individualismus infrage. Dass es am Herdenverhalten von Menschen genauso viel auszusetzen gibt, wird dann in der nächsten, bestimmt ebenso großartigen Vorstellung eruiert.“
taz, Jenni Zylka, 31.10.2024