Die Welt, in der wir leben

Jede und jeder ist ja ständig dabei, sich mit sich selbst abzugleichen. Wir haben ein Auge darauf, dass wir ungefähr so bleiben, wie wir schon sind. Was uns entspricht, das pflegen und genießen wir. Alles andere versuchen wir weitgehend zu vermeiden, denn es gehört einfach nicht in unsere Welt, und deswegen dürfen wir es auch nicht tun, haben oder sein. Natürlich kommt es zu Ausrutschern und sogar Fehlern, aber auch die sind typisch für uns. Wir wollen und müssen wir selbst bleiben. Und dieses Selbst sollte bei Gelegenheit sogar noch intensiviert werden, denn – das hat sich mittlerweile herumgesprochen – es ist unser eigentliches Kapital. Aber eben nur, wenn es prägnant genug herausgearbeitet wurde. Unentfremdet und authentisch zu sein: Alle wissen, wie anstrengend das mitunter ist. Oft auch langweilig.
She She Pop laden ein zu einer Exkursion in einen anderen Kopf.
Die Welt, in der wir leben ist ein Asyl jenseits der repressiven Welt der eigenen Identität, ein Auffanglager für die Flüchtlinge aus dem Land der Ich-Konformität. Anders als in der Schönheitschirurgie oder im Massagesalon, wo man sich mit sich selbst aussöhnen soll, besteht das Angebot hier in der sozialpsychedelischen Erfahrung einer anderen Identität. Ein Blick durch andere Augen, eine fremde Scham, ein anderer Stolz und Ehrgeiz, neue Hoffnungen und Ängste, unerwartete Hingabe – nämlich die von jemand anderem.
Die BesucherInnen von Die Welt, in der wir leben begeben sich auf einen Parcours der Selbstentfremdung. Einstudiert werden sämtliche Fähigkeiten, Übersprungshandlungen und kleine Rituale sowie die heimlichen Glaubensbekenntnisse, genialen Winkelzüge und glamourösen Verblendungen, die zum Überleben in dieser Welt nützlich sind. Es handelt sich dabei um eine Welt, die sich She She Pop in jahrelanger Arbeit angeeignet haben, um sie jetzt im Detail zu vermitteln, kurz: die Welt einer Person, die wir kennen. Der Name dieser Person wird noch bekannt gegeben.

Credits

Von: She She Pop und Nir de Volff.
Mit: Sebastian Bark, Johanna Freiburg, Lisa Lucassen, Mieke Matzke und Nir de Volff.
Bühne: Malve Lippmann und SSP.
Kostüm: Pieter Bax und Lea Søvsø.
Lichtdesign: Micha Lentner-Niyorugira.
Ton: Florian Fischer.
Technische Leitung: Holger Duwe.
Produktionsleitung: Jörg Karrenbauer.
Administration: Elke Weber.
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Björn Pätz.
Assistenz: Christoph Macha und Hilde Tuinstra.

Eine Produktion von She She Pop in Koproduktion mit dem HAU Berlin und Kampnagel Hamburg.

Premiere, März 2009, HAU 3
Gefördert durch den Regierenden Bürgermeister Berlin – Senatskanzlei – für Kulturelle Angelegenheiten, die Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und die Konzeptionsförderung des Fonds Darstellende Künste e.V. – aus Mitteln des Bundes.

Termine


Vergangene Termine:
17. – 19., 22. – 24. April 2009, Kampnagel, Hamburg
25. - 26. März 2009, HAU 3, Berlin
23. März 2009, HAU 3, Berlin

Pressestimmen

Urlaub vom unterdrückerischen Selbst
Ich bin Mieke. Du bist Mieke. Alle, alle sind wir Mieke. Zumindest eine Spielfilmlänge üben wir Zuschauer uns in das Innenleben der Kunstfigur Mieke Matzke ein, die von der realen Mieke Matzke und vier weiteren Performern im HAU 3 vor- und hergestellt wird. Wie stets beim Performancekollektiv She She Pop – diskursgestählten Absolventinnen und Absolventen des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft – sind die Zuschauer Versuchsteilnehmer und Mitspieler. (…) Was oder vielmehr wen haben wir bei She She Pop internalisiert? Die Mieke des Abends ist neurotisch, einsam und äußerst fragmentarisch. Sie ist ein loses Bündel von Merkmalen, eine Sammlung verträumter Verrichtungen, liebenswerter Marotten und trauriger Rituale. (…) Die letzte Gesangsnummer bringt Miekes und unser aller Misere auf den Punkt: „Wir kennen unsere Geschichten, wissen aber nicht, wie sie zusammenhängen.“ Identität braucht einen roten Faden; Mieke hingegen hat sich in ihrer Geschichte verstrickt: Sind die Bilder im Kopf nun Urlaubsfotos oder Wunschvorstellungen? (…) „Mieke“ wird für uns eine imaginäre Gefährtin, wie sie vor allem drei- bis siebenjährige Kinder entwickeln, um das Verhältnis von Selbst und Welt auszutesten.
Nachtkritik / Elena Philipp

Reise in ein fremdes Ich
Das Frauen-Kollektiv hat sich mit seinen Spiel- und Mitspiel-Shows international einen Namen gemacht und wirft einen neuen erhellenden und unterhaltsamen Blick auf „Die Welt, in der wir leben“. (…) She She Pop schleusen ihr Publikum in den Kopf von Schauspiel-Kollegin Mieke Matzke, deren Gefühlswelt sich alle Darsteller aneignen und ihrem Publikum vermitteln wollen. Wie bei ihren Inszenierungen üblich, nehmen die Zuschauer direkt am Bühnen-Geschehen teil – die Sitzreihen sind vorsorglich abgesperrt. Anfängliche Berührungsängste mit den Schauspielern erweisen sich im Laufe der Zeit aber als unbegründet. (…) Lässt man sich auf Miekes Kopfkino ein, dann sind She She Pop tatsächlich in der Lage neue und erhellende Perspektiven auf die Welt zu eröffnen. Sind erste Berührungsängste abgelegt, erwartet den Zuschauer ein lohnender Blick ins Kuriositätenkabinett der menschlichen Seele. Da darf man gespannt sei, welcher Kopf als nächstes dran ist.
Hamburger Abendblatt, Tom Vörös, 21. April 2009

She She Pop gehört zu den innovativsten Berliner Theaterkollektiven
So radikal aufgehoben war die theatertypische Trennung zwischen Akteuren und Publikum noch nie. Keine rettende Bestuhlung mehr, nur noch Spielfläche zwischen lichten Zelten und Pappkartons. Darin fordern She She Pop gemeinsam mit dem israelischen Performancekünstler Nir de Volff zum Maskenball auf. (…)Das Schlüpfen in eine andere Identität (funktioniert) erstaunlich reibungs- und rührungslos. Nur gelegentlich blitzt Ich-Irritation oder ein eigentümliches Gefühl der Einheit mit dem fremden Innenleben der Mieke Matzke auf.
Inforadio Kultur, Ute Büsing, 24. März 2009

Ob das Experiment gelingt, hängt letztlich vom Zuschauer ab.
Die freundlich bestimmte Aufforderung zum neuen Gesicht lässt mir keine Wahl. Gehorsam gehe ich in die Hocke, und male meine neue Identität auf eine Pappmaske nach der gleichen Schablone wie meine Nachbarn links und rechts. Die fremden Augen gehören Mieke Matzke, einem Ensemblemitglied von She She Pop. (…) Die Bühne wird zum Rollenspielfeld. In Kleingruppen aufgeteilt brechen wir auf zur Reise in Miekes Innenwelt. (…) Die Arbeiten von She She Pop sind Versuchsanordnungen mit offenem Ausgang. Ob das Experiment gelingt, hängt letztlich vom Zuschauer ab.
Deutschlandfunk, Gerd Brendel, 23.3.2009