Einige von uns

Ein Lehrstück von She She Pop und Schauspiel Stuttgart
Foto: Julian Marbach
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„Hier ist der Apparat, steig ein“, heißt es in Brechts Ozeanflug. Für zwei Spielzeiten ist das Performancekollektiv She She Pop in den Apparat der Württembergischen Staatstheater eingestiegen. Wie arbeitet man zusammen? Wie funktioniert ein Apparat, der regelmäßig Kunst und Öffentlichkeit zur Verfügung stellt? Und was bleibt bei dieser Arbeit übrig? Was bleibt unbegriffen, verborgen?
Eine größere Anzahl hochspezialisierter Stuttgarter TheaterarbeiterInnen (SchauspielerInnen, TechnikerInnen, HandwerkerInnen, OrganisatorInnen etc.) entfernen sich aus ihren unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen und betreten die Bühne ihres eigenen Lehrstücks: Sie stimmen kollektive Lobeshymnen und Hassreden auf die Arbeit an und Lieder über die anonyme Verantwortung, sie fordern gegenseitig Rechenschaft und stellen sich vor den prüfenden Chor des Publikums. Die szenischen Formate, Befragungstechniken, Ausnahmen und Regeln sind von Brecht entliehen und setzen sich neu zusammen zu einem utopischen Bild: Ein arbeitendes Kollektiv, das sich – auf kunstvolle Weise uneinig – über sich selbst verständigt.
Was heißt es, das Verhältnis von DarstellerInnen und ZuschauerInnen neu zu denken? Kann im und mit dem Theater überhaupt gelernt werden – ohne ein theaterpädagogisches Setting aufzubauen? Was heißt es, Entscheidungen zu treffen, auf der Bühne oder auch in der Gesellschaft? Und wie wird Theater in diesem Sinne politisch? Mit diesen Fragen im Kopf werden wir neue Modelle des Theaterraums, Methoden und Formate des Theaters entwickeln, die das Theater als sozialen Raum begreifen. Mit „wir“ ist der ganze Apparat gemeint: She She Pop, das Ensemble, die MitarbeiterInnen des Hauses, aber auch die ZuschauerInnen, ohne die Theater nicht möglich ist. Welche Form des Theaters der Zukunft brauchen wir und wie können wir sie mitgestalten?

Credits

Konzept: She She Pop
Künstlerische Mitarbeit: Fanny Frohnmeyer
Bühne: Natascha von Steiger
Musik: Miles Perkin, Hannah Plaß
Video: Tobias Dusche
Dramaturgie: Anna Haas

Besetzung: M. Agacdograyan, V. Bähr, S. Bark, F. Benack, L. Bochow, A. Budenz, D. Buirel, B. Burgstaller, S. Clever, K. Dörr, H. Eichhorn, J.Freiburg, M. Glemser, P. Grill, A. Haas, F. Halmburger, L. Herweh, G. Hintermaier, I. Hoeckel, K. Hoffmann, M. Johannsen, S. Käshammer, C. Kaever, J. Koch, L. Lucassen, M. Matzke, M. Meguid, P. Neal, R. Ohm, I. Papatheodorou, A. Petras, H. Plaß, H. Rex, H. Roos-Erdle, F. Rummel, A. Safaei-Rad, S. Safranek, H.-W. Schmidt, E. Schnatmann, S. Schnitzer, A. Schuler, T. Smolnik, V. Spatz, C. Staudt, N. von Steiger, M. Stiller, Y. Stock, D. Strobel, B. Stumpf, M. Ulrich, A. Vajzovic, V. von Waldow

Gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes.

Trailer

Termine


Vergangene Termine:
14. - 25. Mai 2015, Schauspiel Stuttgart, Stuttgart
26. Februar 2015, Zweite Präsentation, 17:30 Uhr, Eintritt frei, Stuttgart
27. September 2014, Erste Präsentation, 17:30 Uhr, Eintritt frei, Stuttgart

Pressestimmen

Im Gegensatz zu „wir” ermöglicht die Phrase „einige von uns”, beim Sprechen über kollektive Erfahrungen auch in der Ausnahme Spielräume zu erschließen. She She Pop machen Sprecher und Sprecherinnen, die an einem Prozess der Gruppenbildung beteiligt sind und dabei zugleich die Gruppe hinterfragen, zum zentralen Gegenstand ihrer Auseinandersetzung mit dem Theater(system). […]Indem „Einige von uns” die vielen Stimmen, die im Stadttheater lärmen, auf die Bühne bringt, nimmt das Stück das Theater(system) des deutschsprachigen Raums als solches ins Visier.. und leg(t) … offen, dass das Theater(system) kein monolithischer Apparat ist, sondern ein Kollektivkörper unzähliger Arbeitsbereiche, die dort wuseln und werkeln.
Momoko Inoue: Das Theater(system) sezieren. She She Pop: Einige von uns. Berichte vom Berliner Theatertreffen 2015 und der aktuellen Theatersituation im deutschsprachigen Raum,Theatre Arts (Web), November 2015

Kritik zur Premiere, Mai 2015

Dass der Rückgriff auf Brecht’sche Verfahrensweisen in dieser sehr mitunter urkomischen und nie langweiligen 120-Minuten-Produktion ganz und gar nicht angestaubt wirkt, ist eine von vielen Überraschungen des Abends. Fragen stellen, sehr einfache Fragen, diese Fragen wiederholen, Erklärungen und Veränderungen einfordern und dabei die Grenzen von Illusion und Wirklichkeit verwischen, das kommt hier sehr frisch und nie verquast oder theorieverliebt über die Bühne. Nicht nur die Schauspieler, auch die vermeintlich Unsichtbaren machen eine gute Figur auf der Bühne. Das Kollektiv von freier Szene, dem Ensemble und den Angestellten hat ganze Arbeit geleistet bei diesem Abend über die Arbeitswelt Theater.
Dorothee Schöpfer, Stuttgarter-Zeitung, 15.05.2015

Mehr als ein Jahr lang sind sie dafür immer wie- der ans Stuttgarter Schauspiel gekommen, um den Koloss künstlerisch zu vermessen: Treffen, Interviews, Workshops – und nicht zuletzt Ver- handlungen, wer wie bezahlt wird, wenn er gerade nicht aus den Reihen der Schauspieler kommt und standardmäßig auf der Bühne steht. Dokumentiert hat die Performancegruppe den Prozess in einer Loseblattsammlung, die sie als Programmheft darreicht. (…) Dokumente spiegeln die verschiedenen Stadien des Entwicklungsprozesses: vom Förderantrag an die Kulturstiftung des Bundes über Konzeptionsschreiben bis hin zu Emails von Beteiligten. Man lernt, dass der eine oder andere eigentlich wieder abspringen wollte und der Versuch, Mitarbeiter aus den Werkstätten auf die Bühne zu holen, zu größeren organisatorischen Verwicklungen führte – weil das Leben hinter der Bühne eben auch ein Leben mit Arbeitszeitkonto, Über- und Unterstunden bedeutet. Dass am Ende trotzdem auch Techniker und Handwerker mit auf den Brettern stehen, ist ein Erfolg der Überzeugungsarbeit von She She Pop, vor allem aber ein Gewinn für die Inszenierung.
Kristin Becker, Theater Heute 07/2015

Kritik zur ersten Präsentation, September 2014

Die erste Präsentation von She She Pop fällt so federleicht und authentisch aus, dass schnell klar ist, wie viel Vorarbeit darin steckt: Seit Beginn dieses Jahres arbeitet das freie Performance-Kollektiv mit dem Schauspiel Stuttgart zusammen, erforscht dessen große Maschinerie und legt die einzelnen Zahnräder frei. Alle, die im Haus tätig sind – in Büros, Werkstätten oder auf den Bühnen – werden von She She Pop zu ihrer Arbeit befragt und können szenisch mit den Künstlerinnen experimentieren. „Lehrstücke“ heißt dieses Projekt, angelehnt an Bertolt Brechts gleichnamige Stücke für Laien; verhandelt wird das Thema Theater auf unterschiedlichsten Ebenen: Theater als Arbeit, als Lebensraum, als Berufung oder als Kunst. Was jetzt im Foyer des Schauspiels zu sehen war, ist kein Stück im klassischen Sinne, es ist eine Montage, eine Performance, ein Bericht – und dabei höchst amüsant. Ein Kollektiv initiiert den Theaternachmittag, und ein Kollektiv steht auf der Bühne: Opernchoristin, Kostümmaler, Schauspieler, künstlerischer Direktor, Assistentinnen der Intendanz und der Regie, Performerinnen, Machinixt, Abendpersonal, Dramaturgin und der Intendant agieren vor einer umgekehrten Kulissenwand, sie stehen für das Gebilde Theater. Die Heterogenität dieser scheinbaren Einheit wird verdeutlicht, indem abwechseln eine Akteurin oder ein Akteur ans Mikrofon tritt und einen Satz beginnt mir „Einige von uns…“. Wer sich von dem benannten Thema angesprochen fühlt, geht mit nach vorne, so entstehen immer wieder neue Gruppierungen. Bei „Einige von uns würden gerne mal wieder ins Kino gehen.“ stehen alle vorn, bei „Einige von uns gucken abends Pornos“ bleiben zwei Jungs für sich. In dieser gruppendynamischen Choreografie finden persönliche Probleme wie Existenzängste oder Alkoholkonsum genauso statt wie Einblicke in das System Stadttheater mit seinen Kommunikationsmustern, Hierarchien und Arbeitsabläufen. So schaffen es die Performerinnen von She She Pop, dass sich die Akteure ganz leicht und humorvoll dem Publikum präsentieren, gleichzeitig aber auch große Fragen über das (Theater-)Leben aufgeworfen werden. Eine gelungene Präsentation, die Lust macht auf die Uraufführung der „Lehrstücke“ im Mai 2015.
Nicole Buck, Stuttgarter Zeitung, 29.09.2014