Oratorium
„Dass da gehören soll, was da ist, denen, die für es gut sind.“ (B. Brecht)
Eigentum verändert das Bewusstsein. Es trennt Freund*innen, es erteilt Macht über andere, es schließt aus. Eigentum ist selbstverständlich. Und man spricht nicht darüber. Nichts ist so konstituierend für unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben, nichts wirkt so trennend auf die Gemeinschaft wie das Eigentum. She She Pop möchten mit ORATORIUM das Geheimnis des Eigentums lüften, es auf eine Bühne zerren. Man sagt, das Theater westlicher Ausprägung beginnt mit dem Protagonisten Thespis, der sich vor 2500 Jahren vor den Chor gestellt hat. Man könnte aber auch sagen: In diesem Moment ist die Bühne privatisiert worden. Das Individuum wurde seither konsequent überschätzt, überfordert und emotional ausgebeutet. ORATORIUM möchte ein Schlaglicht auf den Zusammenhang von bürgerlicher Öffentlichkeit, Eigentum und demokratischer Ermächtigung werfen.
Gemeinsam mit dem Chor der lokalen Delegierten und ihrem jeweiligen Publikum werden She She Pop über Eigentum sprechen und auf die eigenen Besitzverhältnisse, die Verteilung der Güter und die damit verbundenen Verwerfungen schauen. Inspiriert von Brechts Lehrstücktheorie entwickeln sie Regeln für den dialogischen Theaterabend und bilden uneinige Sprechchöre, die jeden Abend aufs Neue unseren Umgang mit dem Eigentum verhandeln.
Wer darf sprechen? Wer ist präsent, wer wird repräsentiert? Aus der Vielstimmigkeit, der Uneinigkeit und dem immer nur für Momente zu erreichenden Einklang entsteht ein kollektiver Monolog.
ORATORIUM ist ein work-in-progress, dessen Premiere im Februar 2018 am HAU Hebbel am Ufer in Berlin stattgefunden hat. Ein erstes Showing war 2017 bei Theaterformen in Hannover zu sehen und es folgten weitere Stationen beim Konfrontacje Teatralne Festival in Lublin und dem ACT Independent Theater Festival Sofia.
ORATORIUM war auf einer Reise durch Europa, in deren Verlauf es Momentaufnahmen aus anderen ökonomischen Mikrokosmen gesammelt hat und sich von Station zu Station weiter entwickelt zu einer großen vielstimmigen Andacht.
Credits
Von und mit: Sebastian Bark, Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Ilia Papatheodorou, Berit Stumpf sowie dem Chor der lokalen Delegierten.
Bühne: Sandra Fox. Kostüme: Lea Søvsø. Musik: Max Knoth. Künstlerische Mitarbeit Produktion: Ruschka Steininger. Dramaturgische Mitarbeit: Peggy Mädler. Künstlerische Mitarbeit Tour: Laia Ribera, Alisa Tretau. Technische Leitung & Lichtdesign: Sven Nichterlein. Produktionsleitung: Anne Brammen. Kommunikation: ehrliche arbeit – freies Kulturbüro. freie Mitarbeit Kommunikation: Tina Ebert. Finanzadministration: Aminata Oelßner. Company Management: Elke Weber.
Eine Produktion von She She Pop in Koproduktion mit HAU Hebbel am Ufer Berlin, Festival Theaterformen, Münchner Kammerspiele, Schauspiel Stuttgart, Kaserne Basel, Residenz Schauspiel Leipzig, Kampnagel Hamburg, Künstlerhaus Mousonturm, FFT Düsseldorf, Konfrontacje Teatralne Festival Lublin und ACT Independent Theater Festival Sofia.
Premiere, Februar 2018, HAU Hebbel am Ufer, Berlin
Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa.
www.kulturstiftung-des-bundes.de
Trailer
Termine
Vergangene Termine:
Pressestimmen
„Das Oratorium gibt keine Antwort – aber jede Menge Anregungen zum Weiterdenken und mit dem Element der gemeinsamen Chöre eine Anleitung zur kollektiven Selbstermächtigung. Insofern ein guter Anfang!“
Andrej Holm, Nachtkritik, 13.05.19
„All in all, Oratorium is a triumph of experimental performance: it democratises the space of the theatre to tap into a pressing public discourse, it blows up the concept of passive entertainment by highlighting our collective complicity in capitalistic property relations, and it delivers an inspiring show of solidarity in the process. But, aware of its own formal limitations, it ends on a self-critical, yet optimistic note. Question: what use is all of this? Answer: it’s a rehearsal for what’s to come. As the evening comes to a close and my neighbour and I return to our divergent economic realities, I feel that we both leave the theatre with a heightened sensibility for the nuances of property relations. And that’s a testament to a powerful, political performance. Bertie would approve.“
Nicholas Potter, Theatertreffen-Blog 2019, 12.05.19
„Es ist sowohl der richtige Ort – hier, in dieser Stadt, die gerade Beute wird – als auch die richtige Zeit, dieses experimentelle Spiel mit der Öffentlichkeit zu wagen. Es sind die richtigen Inhalte — Geld, Eigentum Privilegien, Macht, Werte, Gemeinschaft, Erwartungshaltungen des Theaterpublikums — die verhandelt werden. Es sind die richtigen Fragen, die in unserem Hier und Jetzt der Wohnungsnot, explodierenden Mieten, befristeten Arbeitsverhältnisse und ausschließender, sich nach rechts bewegender Gesellschaftsstrukturen gestellt werden. Und es ist die richtige Art, sie zu stellen: Mit viel Humor, niemals selbstgerecht und ohne vorwurfsvollen Unterton. Kurzum: Es ist die richtige Form, Theater zu machen (im Kollektiv, gleichberechtigt, enthierarchisiert).“
Dilan Zuhal Capan, Theatertreffen-Blog 2019, 11.05.19
„Die Inszenierung ist am stärksten, wenn sie das Publikum beteiligt, dieses im Wechselspiel mit den Darstellern die eingeblendeten Texte spricht und sich zu ihnen verhält. Etwa, wenn alle Erben dazu aufgefordert werden, auf der Bühne zu sagen, was sie erben werden und die Gesamtsumme ihrer Erbschaften zusammenzurechnen. Die altgediente Regel „Über Geld spricht man nicht“ wird ausgehebelt, der Zuschauer zum Voyeur. Als ein Mann erklärt, er erbe ein Haus mit Garten in Sachsenhausen, geht ein Raunen durchs Publikum – Frankfurter wissen, wie viel sein Besitz wert ist. „Oratorium“ appelliert an die moralische Verantwortung der Besitzenden, aber die Inszenierung offenbart auch Widersprüche, in die ein einzelner Wohnungsbesitzer geraten kann und entgeht so einer einseitigen Moralisierung. Indem das Publikum als Chor benutzt wird, zeigt sie auf, dass die Verteilung von Besitz nicht nur eine private, sondern eine gesellschaftliche Angelegenheit ist.“
Grete Götze, Frankfurter Rundschau, 03.09.2018 „
Überhaupt ist „Oratorium“ von der ersten Sekunde an, sehr, sehr unterhaltsam. … Nicht nur, weil der ein oder andere kluge Gedanke formuliert wird, der jeden betrifft, auf der Bühne und der Tribüne. Sondern weil man heutzutage ja selten erlebt, dass jemand, in heiterer Strenge, wirklich versucht, nach Form, Wort und Musik die Lehrstücke Bertolt Brechts als Vorlage zu nehmen. Lehrstücke, weil alle etwas lernen können, und weil es im Grunde kein Publikum gibt. Weshalb all jene, die nun bei den drei Frankfurter Aufführungen mitsprachen, als Chor keinen geringen Anteil am Gelingen hatten.“
Eva-Maria Magel, FAZ, 03.09.2018
In „Oratorium“ werden keine politischen Positionen proklamiert; vielmehr verdeutlichen die unterschiedlichen Akteure verschiedene ökonomische Ausgangslagen. (…) Tatsächlich hat dieses eine wichtige Rolle in der Performance: Denn es ist gehalten, sich in chorischen Aktionen und im Wechsel mit den Darstellern in eingeblendeten vorgegebenen Texten einzubringen und zu outen. Das hat auch etwas Liturgisches. (…) aus dem Schutzraum Theater (wird), wie im Untertitel der Performance angedeutet, tatsächlich ein Andachtsraum, in dem vielstimmige Gruppen und Sprechchöre, der Chor der Delegierten als Stellvertreter der regionalen Gesellschaft, ein Chor der Erbinnen, aber auch Einzelstimmen hörbar werden und Fragen zum Thema Eigentum aufwerfen – durchaus bekannte, mitunter moralisierende, aber allemal bedenkenswerte.
Badische Zeitung, 25.Mai 2018
Kritik zur Premiere in Berlin, Februar 2018
„Die Überraschung kommt gleich zu Beginn. Eigentlich hat noch gar nichts richtig begonnen auf der dunklen, leeren Spielfläche des HAU2. Nur eine Schrift auf der Leinwand gibt knappe Anweisungen. Aber die sind so aufru?ttelnd, dass das Publikum schon mal zehn, fünfzehn Minuten lang in eine Stimmung versetzt wird, die man sonst nur vom Kabarett oder Karneval kennt. Sage noch jemand, die Anhänger der Postdramatik seien theorielastige, empathiefeindliche Theaterskeptiker.“
Doris Meierhenrich, Berliner Zeitung, 12.02.2018
Kritik zum Showing in Sofia, November 2017
„To claim that such a theatrical work leads to some sort of surprise or discovery, it would be inconsistent with its aims. It is not so much about the discovery of profound social contradictions, rather then targeting the ability of the theater to act on an individual, biographical level raising resemblance questions, which are otherwise mostly left in the hands of the media. In this way, the theater tries to preserve its freedom, distinguishing itself. So, in the general chorus of theatrical practices from the recent decades, She She Pop is certainly part it.“
Violeta Detcheva, “Kultura” magazine, 01.12.2017
„Oratorio“, at least for me, provoked on many levels feeling for awakening, for clarity, for uncompromisingness and truth. But most of all, it has proven the ever-growing need to articulate from the stage even the simplest and most obvious things that are actually the most difficult to define.“
Elena Angelova, portal “Kultura”, 01.12.2017
Kritik zum Showing in Hannover, Juni 2017
„…manches deutet darauf hin, dass „Oratorium“ – nach She She Pops Erfolgsstück „Testament“ über das Erben – ein ähnlich feiner, selbstironischer Abend werden wird.“
Mounia Meiborg, Süddeutsche Zeitung, 15.06.2017
„So hätte es Brecht gefallen…“
Stefan Gohlisch, Neue Presse, 11.06.17
„…grundsätzliche gesellschaftliche Fragen, die nachdenklich stimmen konnten. Dennoch mangelte es dem Abend nicht an Humor…“
Kreiszeitung, 15.06.17