Schubladen
20 Jahre nach der Wende nehmen sie sich vor, sich neu anzunähern. Dazu greifen die Performerinnen auf autobiografisches Material aus ihren Schubladen zurück. Briefe, Tagebuch-Auszüge und andere Text-Dokumente werden grob chronologisch sortiert, ebenso wie das innere Bilderarchiv einer jeden und Musik. Die Erzählungen, aus denen unsere Leben bestehen, werden von den Performerinnen zu Themenfeldern kombiniert und verlesen, der Soundtrack dazu abgespielt. Fragen des Gegenübers müssen nach bestem Wissen beanwortet werden, ohne Rückgriff auf objektive, verlässliche Quellen. Eine vielstimmige und zutiefst subjektive Chronik der ost-westdeutschen Geschichte wird live erzählt, mit privaten oder öffentlich zugänglichen Textquellen belegt, aus der Erinnerung referiert, entlang oder entgegen der großen Weltanschauungen.
Als Paare sitzen sich die 6 Performerinnen an Tischen gegenüber in einem Raum, der sowohl Archiv wie auch Freizeitheim ist. Und ähnlich wie im Gemeinschaftsraum eines Erholungsheims müssen sich diese Paare miteinander bekannt machen. Sie werden versuchen, einander besser zu verstehen und sich dabei gegenseitig herausfordern mit dem Ziel, letztlich und endlich eine richtige Beziehung einzugehen.
„Wiedervereinigung“ wird in Schubladen als Beziehungsarbeit gedacht. Sie wird hier nachträglich und live für 3 Ost-West-Paare zur konkreten Aufgabe auf der Bühne. Wer bist du? Wie bist Du die Frau geworden, als die du mir heute gegenübersitzt? Und wie in jeder schlechten oder guten Beziehung spielen Missverständnisse und Projektionen eine entscheidende Rolle. Die Performerinnen werden versuchen, ehrlich das Maß an Nähe aufzuzeigen, das zwischen ihnen möglich ist. Die Bühne wird zum Ort für einen utopischen Dialog.
She She Pop und ihre Ost-Kolleginnen bekennen sich zur Vielstimmigkeit, zur kollektiven Erzählung. Die Lücken, Ungenauigkeiten und fehlenden Verbindungen gehören mit zum System. Wer waren wir? Wer sind wir? Warum sind wir so geworden?
Credits
Konzept: She She Pop. Von und mit: Sebastian Bark, Johanna Freiburg, Barbara Gronau, Annett Gröschner, Fanni Halmburger, Alexandra Lachmann, Katharina Lorenz, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Peggy Mädler, Ilia Papatheodorou, Wenke Seemann, Berit Stumpf und Nina Tecklenburg.
Künstlerische Mitarbeit: Kaja Jakstat. Bühne: Sandra Fox. Kostüm: Lea Søvsø. Lichtdesign: Sven Nichterlein. Ton: Florian Fischer. Video: Sandra Fox, Branka Pavlovic und She She Pop. Übertitel: Panthea (David Maß). Tour Koordination: Fanny Frohnmeyer, Kaja Jakstat, Ruschka Steininger. Technische Tourbetreuung: Florian Fischer, Manuel Horstmann, Andreas Kröher, Michael Lentner, Sven Nichterlein, Torsten Schwarzbach. Produktion/ PR: ehrliche arbeit – freies Kulturbüro. Freie Mitarbeit Kommunikation: Tina Ebert. Finanzadministration: Aminata Oelßner. Company Management: Elke Weber.
Dank an Anja Dürrschmidt und Marion Müller-Roth.
Eine Koproduktion von She She Pop mit dem Hebbel am Ufer Berlin, Kampnagel Hamburg, FFT Düsseldorf und brut Wien.
Premiere, März 2012, HAU, Berlin
Gefördert durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, die Behörde für Kultur, Sport und Medien der Freien Hansestadt Hamburg, den Fonds Darstellende Künste e.V. und die Rudolf Augstein Stiftung.
Auszeichnungen
Nominiert für die Ubu Awards in der Kategorie „Beste ausländische Performance“ (Italien).
Termine
Vergangene Termine:
Pressestimmen
…man muss nur laut „Ostsee“ rufen, dann ziehen sich die Damen aus der ehemaligen DDR sofort aus und suchen nackt das Wasser. So jedenfalls wissen es ihre Geschlechtsgenossinnen aus dem Westen, während sie beim Lästern einen Prosecco trinken. Im Osten aber lästert man mit Wodka. Es sind solche …gnadenlos wiedererkennbaren Stereotypen, mit denen die sechs Frauen….einander be- und auch verurteilen. Diese Selbstironie zeichnet das ganze Stück aus…Dieser intelligente Spaß … zeigt allerdings auch etwas, was im Alltag oft nicht erkennbar ist. Wie stark unsere Biographie, ja selbst das, was wir als ganz individuelle Charaktereigenschaft empfinden, vom Aufwachsen in einer bestimmten Umwelt geprägt ist und wie schwer…es ist diese Prägung abzulegen.
Matthias Bischoff, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.10.2015
Ost und West sind eigentlich nur beim Thema Katharina Witt Schwestern im Geiste…Und schon rollen Ost und West auf ihren Bürostühlen, schwung- und hingebungsvoll, als wären die Rollen Kufen. Aber sonst? Sonst sind sich Ossifrauen und Wessifrauen in She She Pops „Schubladen“ doch eher fremd und ein wenig unheimlich geblieben… Ziemlich lustig, aber durchaus nicht ohne Schärfe ist der „Schubladen“-Blick auf die eigene (weibliche) Sozialisation: Drei Ossi- und drei Wessifrauen sitzen sich zwei muntere Stunden lang an Tischen gegenüber, stellen Fragen, schweifen und rechnen ab. … In Bollerwägen hat man Erinnerungsmaterial mitgebracht, (Schul-)Bücher, Schallplatte, Tagebücher, Poesiealben. … Es geht um die Westpakete (hätten die verdammten Westler mal Tampons eingepackt) wie um die Lieblingsmusik (Tanita Tikaram, ach je, was ist aus der eigentlich geworden?). Es geht darum, wie Ost-Frau und West-Frau sich an den Mauerfall erinnern – auch mal gar nicht. Es geht um Wodka oder Prosecco; letzterer wird nur von diesen Wessiweicheiern getrunken. Es geht darum, was in den feministischen (West) und sozialistischen (Ost) Büchern so stand und ob dem zu glauben war. Es geht um Freiheit und Sex. Der zeitliche Abstand zu dem, was hier an Andekdoten, Zitaten, Musiktiteln ausgegraben wurde, sorgt allein schon für Heiterkeit. … Der nüchterne, ja trockene Ton der sechs Akteurinnen trägt noch zur Komik bei.
Sylvia Staude, Frankfurt Rundschau, 1.10.2015
… nachdem sie Europa im Sturm erobert haben, ist das Kollektiv, dessen Arbeiten auf die Analyse sozialer Rituale und Mediensysteme spezialisiert sind, endlich erstmals auf einer griechischen Bühne zu sehen. Die Gruppe bringt persönliche Erfahrungen aufrichtig und spontan zur Wirkung. She She Pop stellen individuelle Konflikte in einen historischen Kontext und portraitieren die deutsche Wiedervereinigung als eine Form von Paartherapie, als den Versuch eine zerrüttete Beziehung zu kitten.
Vangelis Tsonos, Athens Views, 03.07.2015
Was nun den Körper betrifft, so interessiert er offenbar diese Performerinnen ganz besonders, die es übrigens verstehen, mit ihrem perfekt umzugehen. „Meine Gynäkologin meint, sie würde in der Sauna die Westfrauen sofort erkennen: Sie sind überall rasiert“, sagt so zum Beispiel ein Mitglied des ostdeutschen Teams. „Die West-Frauen sind so“, „die Ost-Frauen dagegen so“: In beiden Lagern macht sich die Sechserbande über solche Vorstellungen lustig. Die West-Frauen hinterfragen ihr Überlegenheitsgefühl, das so verankert ist, dass man es nicht mehr merkt, die Ost-Frauen legen keinerlei „Ostalgie“ an den Tag, sind aber auch nicht von dem westlichen Modell fasziniert. (…) Denn die She-She-Pops haben es verstanden, die richtige Form zu finden, ebenso einfach wie durchschlagend. Die Ost-West-Debatten finden vor einer großen Leinwand im Bühnenhintergrund statt, auf die Bilder leerer Sitzungsräume projiziert werden. Wer könnte sagen, ob diese der bürokratischen DDR-Welt oder der technokratischen im wieder vereinigten Deutschland von heute angehören.
Fabienne Darge, LE MONDE, 16.10.2014
Kritiken zu Gastspielen, April 2013
… Am Mittwochabend haben She She Pop die ersten Basler Dokumentartage mit einer umwerfenden Performance über die Wiedervereinigung eröffnet. Damit lenkt das angesagt Theaterkollektiv den Fokus … hin zu der Erkenntnis, dass die Verantwortlichen Boris Nikitin und Phoebe Heydt ein erstklassiges Programm nach Basel geholt haben. Und ein vielfältiges. … Und She She Pop haben unter dem treffenden Titel „Schubladen“ die Privatarchive ihrer Akteurinnen auf ost-west-deutsche Vorurteile durchforstet. Ein Abend, der dem Publikum auf in der ausverkauften Kasernen-Reithalle bestätigt, dass Dokumentartheater vergnüglich und intelligent zugleich sein kann. … Drei Ostfrauen holen sich die im Westen aufgewachsenen Performerinnen Johanna Freiburg, Ilia Papatheodorou und Berit Stumpf zu süffisanten Tischgesprächen ins Stück: Annett Gröschner, Berliner Autorin. Die Sopranistin Alexandra Lachmann. Die Fotografin Wenke Seemann. Drei Künstlerinnen, die vor dem Anecken keine Angst haben. Die als Kinder den Kapitalismus aus dem DDR-Heimatkundebuch mit der „Schwarzwaldklinik“ verglichen. Die schon als „Brigadeleiterin“ in der Volksschule lernten, andere bei der Obrigkeit zu verpetzen. Was She She Pop veranstalten, ist ein herrlicher Tanz auf der Mentalitätsgeschichte von BRD und DDR. Ein Stück Zeitchronik, das eben nicht oberlehrerhaft objektiviert, sondern radikal auf Augenzeugen vertraut – und auf deren Talent zur Selbstironie.
Stephan Reuter, Basler Zeitung, 19.04.2013
Die Texte provozieren und machen in ihrer subtilen Hybris und Gewandtheit Spaß. Und: Der Einzelne zählt, denn das Ich bezieht in den hier herrschenden weltgeschichtlichen Rahmenbedingungen den Platz des Souveräns. … es geht (…) nicht um die Bewertung der Systeme, sondern um deren Struktur. Sehr schön!
Magarete Affenzeller, Standard, Wien, 09.02.2013
Kritiken zur Auslandspremiere in Italien, Juli 2012
Wenn jeder Sommer seine Theater-Offenbahrung bereit hält, dann ist es im Sommer 2012 wohl Schubladen, der einzigartige Entwurf einer nicht weniger einzigartigen Kompagnie, dem Berliner Kollektiv She She Pop: … ein lebendiges Familienalbum, das zum artikulierten kollektiven Selbstportrait wird. In diesem Stöbern in Erinnerungen liegt viel Frische, Ironie und eine Klarheit, die gleichsam anthropologisch ist.
Renato Palazzi, Il Sole 24 Ore, 26.07.2012
She She Pop überraschen das Publikum mit der Natürlichkeit ihrer Präsenz auf der Bühne, mit der seltenen Maßgabe einer Interpretation, die ein politisches Theater zeigt und praktiziert. Eine schöne Entdeckung.
Maria Grazia Gregori, L’Unità, 24.07.2012
Zurück zum Tagewerk mit She She Pop, einem weiblichen Berliner Kollektiv, das mit viel Aufsehen angekündigt wurde. In Schubladen wird der wichtigste Sachverhalt der europäischen Geschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die deutsche Wiedervereinigung, zum Terrain, in welchem sich die eigene Identität spiegelt. Alles lebt wieder auf in der Erinnerung unbedeutender Ereignisse im Leben der sechs Darstellerinnen (Liebesbeziehungen, Eltern, Freunde, Schule…). An drei Tischen sitzen sie auf Bürostühlen, als Requisite dienen ihnen Bücher, Schallplatten, Tagebücher, etc., immer wieder befragen sie sich gegenseitig, kommentieren, erinnern, lassen ihr eigenes Gewissen sprechen (…), sowohl diejenigen aus dem sozialistischen Osten, wie die aus dem kapitalistischen Westen – auf gänzlich unversöhnliche Weise. Daraus entsteht eine innere Gleichzeitigkeit, die in Zeiten des dramaturgischen Experimentierens das Interessanteste ist.
Anna Bandettini, La Repubblica, 22.07.2012
Kritiken zur Premiere, März 2012
Den Performerinnen gelingt es, die persönliche Frage nach der eigenen Biografie zu verzahnen mit der allgemeinen Frage nach dem Verhältnis von West- und Ostdeutschen. Den eigenen Puls zu fühlen heißt hier nicht, den Rest der Welt zu vergessen. Das muss man erst mal hinkriegen. She She Pop ist es auf eine ebenso amüsante wie schlaue Art und Weise gelungen.
taz Hamburg, 24./25. März 2012, Klaus Irler
Eisprinzessin Katis olympische Kür „Schubladen“ ist kein simples Ost-West-Aufarbeitungsprojekt, sondern eine assoziative Recherche über die Bedingungsgefüge, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind. Ein vergnüglicher Abend mit Langzeit- und Tiefenwirkung.
Tom Mustoph, taz Berlin – die tageszeitung, 10.03.2012
Zonenübergreifende Frauenbilder? Bei Katharina Witt herrschte offenbar eine Art zonenübergreifender Konsens. Jedenfalls sind, als die Rede auf die einstige DDR-Olypmiasiegerin im Eiskunstlauf kommt, die kleinen soziokulturellen Differenzen zwischen den Ost- und den Westfrauen auf der Bühne wie ausgeräumt, die bisher den Abend bestimmten. Und die langbeinige Westfrau Nina Tecklenburg fängt auf ihrem Bürostuhl an, mit großer Geste Witts Carmen-Choreografie aus ihrem Körpergedächtnis zu schleudern. Im Sitzen. Der Rittberger geht auch ganz locker als Bürostuhlpirouette von der Hand. Bald kommt die Ostfrau Wenke Seemann dazu, in deren Körper die einschlägigen choreografischen Volten ebenso spontan abrufbar sind. Und so wirbeln beide auf ihren Bürostühlen ziemlich synchron über die Bühne. Gelegentlich werden sie von den vier anderen Mitspielerinnen genervt in den Hintergrund geschoben. Selten für lange. Denn gegen soviel Begeisterungsfähigkeit ist kein Kraut gewachsen. Auch nicht im jubelnden Publikum. ?..Der Abend besticht durch ein gut durchrhytmisiertes Timing, durchdachte Zeichensysteme in der Kleidung der sechs Ladies. Auf den Wellen hübscher Geschichten, süffiger Musiken und Schaumkronen sehr kalkulierter Pointen gleitet man gut durch den Abend.
Esther Slevogt, Nachtkritik.de, 8.03.2012
Chronik ost-westdeutscher Geschichten In „Schubladen“ befragen sich drei Frauenpaare aus Ost und West nach ihren Erfahrungen in Kindheit und Jugend. Ein Stück, das reichlich Platz für Vorurteile über zupackende, trinkfeste, sexaktive Ostfrauen und Konsummiezen aus dem Westen bieten könnte. Am Berliner Hebbel am Ufer hat das Autorenkollektiv She She Pop etwas anderes daraus gemacht. Hier ist nicht zusammengewachsen, was doch irgendwie zusammengehört: She She Pop belässt es nicht bei der üblichen deutsch-deutschen Plauderei über Unterschiede und Gemeinsamkeiten, sondern forscht in der Sprache selbst nach den grundlegenden ideologischen und lebenspraktischen Divergenzen. …Mit der Musik kommt an diesem mit viel nostalgischem Schmunzeln und befreiendem Lachen aufgenommenen Schubladen-Abend im Publikum richtig Stimmung auf.
Eberhard Spreng, Deutschlandradio Kultur, 10.03.2012
She She Pop wühlen im Berliner HAU in autobiografischen „Schubladen“ Anett Gröschner, eine erfreulich sarkastische Schriftstellerin … steht auf der Bühne des Berlin HAU-Theaters und erzählt trocken, manchmal leicht verwundert über die seltsamen Zufälle und Zumutungen, die das Leben in Deutschland so für sie bereithielt – lauter kleine, funkelnde Momentauffnahmen. Sie ist mit Alexandra Lachmann, Wenke Seemann, Ilia Paptheororou, Johnanna Freiburg und Nina Tecklenburg eine von sechs Protagonistinnen in „Schubladen“, dem neuen Stück des Perfomance-Kollektivs She She Pop. An drei Tischen sitzen sich je eine Frau mit ost- und westdeutscher Herkunft gegenüber, befragen sich zu ihren Erinnerungen und wühlen in ihren Biografie-Schubladen um immer mal weider festzustellen, wie anders oder ähnlich sich Kindheit, werste Verliebtheiten, Selbstdefinition, Musikgeschmack, sexuelle Orientierung oder das Verhältnis zum Geld ja nach landesteiltypischer Prägung anfühlen. Aber spätestens bei der in diesen Kreisen üblichen Heiner-Müller-Verehrung und den jederzeit konsensfähigen „Ton Steine Scherben“ ist dann auch hier die innere Einheit Deutschlands vollendet. Sechs Darstellerinnen mittleren Alters dabei zuzusehen, wie sie zu Rio Reisers „Wir müssen hier raus, wie leben im Zuchthaus…“ headbangenderweise auf ihren Bürostühlen begeistert über die Bühne rollen, hat durchaus seinen eigenen Reiz. Diese deutsch-deutschen Gipfelgespräche könnten arg didaktisch werden. aber weil wir im HAU sind, werden keine Phrasen, sondern offene Suchbewegungen ausgetauscht, mit all den Peinlichkeiten, die etwa die Lektüre alter Tagebücher so zu bieten hat. Spätestens wenn westdeutsche Upperclass-Degenerationen auf ostdeutsche Fragezeichen treffen („jetzt mal ehrlich, sind deine Eltern Kapitalisten?“) und die Klischees fröhlich zugespitzt werden, entwickelt das eine eigene Komik. Erfreulicherweise neigen die Performerinnen in ihren Fremd- und Selbstbeschreibungen zu Diagnosen von offenherziger Diskriminierungsfreude. … Mit „Schubladen“ setzen She She Pop ihre autobiografischen Recherche-Projekte fort, mit denen sie spätestens seit ihrem Erfolgsstück „Testament“, bei dem die Performerinnen ihre Väter auf die Bühne gebenten haben, ein eigenes Genre definiert haben. Der Reiz liegt auch bei „Schubladen“ in der Kombination von lustigen oder berührenden Irrritationsmomenten und der unprätentitösen theatralischen Umsetzung wzsichen Frontalunterricht, Selbstgespräch, Endlosrecherche, Party und nicht ganz ernst genommener Gespärächstherapie. Das offensive Fasziniertsein von sich selbst hat etwas von Narzissmus, wie er fürs Berliner Kreativmilieu typisch ist. Aber She She Pop sind schlau genug, der Eitelkeitsfalle zu entgehen, indem sie diese Selbstbespiegelungsmanöver mit lässiger Selbstironie ausstellen. Der Hang dazu, Leben in Anekdoten aufzulösen, und der begrenzte Erkenntnisgewinn des Abends werden durch die gute Laune, die er macht, mehr als ausgegleichen.
Peter Laudenbach, Süddeutsche Zeitung, 12.03.2012